Anna Hoffmann
Mein Name ist Anna Hoffmann. Ich bin 1974 in Berlin Steglitz geboren als älteste von drei Kindern.
Meine Mutter kam aus einer Arbeiterklassefamilie, mein Vater aus dem Bildungsbürgertum.
Meine Kindheit habe ich in West Berlin und in einem kleinen Dorf in Hessen verbracht. Als Erwachsene bin ich viel gereist, vor allem in Europa, und habe ein paar Jahre in Kanada gelebt.
Ich bin queer.
Ich bin cis femme (das bedeutet, dass ich mich wohl fühle mit dem Geschlecht „weiblich“, das mir bei meiner Geburt zugeordnet wurde - cis, und dass ich gerne mit stereotypen Weiblichkeitsbildern spiele und sie zu meinen mache - femme).
Meine Vorfahren sind aus Gegenden, die heute Deutschland, Skandinavien, Frankreich, Polen, Russland, Baltikum, England und Wales heißen.
In den letzten paar Generationen haben sich alle als Deutsche gesehen und meine Auseinandersetzung mit meiner Herkunft war die längste Zeit bestimmt von Faschismus, Klassenzugehörigkeit und Weiß Sein.
Alle meinen Großeltern waren entweder Nazis oder sie haben mitgemacht und sich bereichert.
Schweigen, Rigidität, protestantische Arbeitsethik, Alkoholismus, sexualisierte Gewalt, psychische Gesundheit/ Erfahrungen mit Psychiatrie, Homophobie, fehlende Auseinandersetzung mit Kolonialismus, Faschismus, Rassismus, Klassismus sind intergenerationale Themen in meiner Familie.
Meinem Vater bin ich so dankbar, dass er mir schon als Kind umfangreiches Wissen rund um Faschismus und Holocaust zur Verfügung gestellt hat. Er hat mit dem Schweigen zu diesen Themen gebrochen.
Meiner Mutter bin ich so dankbar, dass sie immer dafür gesorgt hat, dass wir mit Menschen aus allen Klassen eng befreundet waren, dass „Familie“ nicht beschränkt war auf Herkunftsfamilie.
Inzwischen weiß ich, dass ich auch noch ein ganz anderes Erbe habe. Jenseits von all dem Guten, das meine Eltern mir ja auch mitgegeben haben, habe ich durch den direkten Kontakt mit meinen Vorfahren Dinge gelernt, zu denen ich nie vorher Zugang hatte.
Das gibt mir ein völlig neues Gefühl von Zugehörigkeit, Selbstvertrauen und Lebendigkeit.
Mir ist es nun möglich, sowohl auf persönlicher Ebene, beruflich als auch als Aktivistin wirklich präsent zu sein, wenn es ans Eingemachte geht. Wenn es wirklich schwierig wird.
Wenn es beim integer sein nicht nur darum geht, Verantwortung für faschistisches Erbe zu übernehmen, sondern auch dafür, wie transgenerationales Übel sich fortsetzt und heute, jeden Tag, als Begründung dafür herhält, wenn zB Waffen geliefert werden an Völkermordregionen.
Und – bei aller Trauer und aller Wut – ich genieße das Leben wie noch nie zuvor, und weiß, dass mir das zusteht. Dass meine Vorfahren das wollen.
Es ist mir eine große Freude und eine große Ehre, Menschen auf ihrem Weg zu begleiten, mit ihren Vorfahren in Kontakt zu gehen oder diesen Kontakt noch mal auf andere Füße zu stellen.
My name is Anna Hoffman. I was born in Berlin Steglitz in 1974 as the eldest of three children.
My mother came from a working class family, my father from the upper middle class.
I spent my childhood in West Berlin and in a small village in Hessen. As an adult I travelled extensively, mostly in Europe, and lived in Canada for a few years.
I'm queer.
I'm cis femme (meaning that I'm comfortable with the gender "female" assigned to me at birth - cis, and that I like to play with stereotypical images of femininity and make them mine - femme).
My ancestors are from areas that are now called Germany, Scandinavia, France, Poland, Russia, the Baltic States, England and Wales.
In the last few generations everyone saw themselves as German and for the longest time my confrontation with my origins felt determined by dealing with fascism, class and being white.
All my grandparents were either Nazis or they took part in fascism and enriched themselves.
Silence, rigidity, protestant work ethic, alcoholism, sexualized violence, mental health/experiences with psychiatry, homophobia, lack of confrontation with colonialism, fascism, racism, classism are intergenerational issues in my family.
I am so grateful to my father that he gave me knowledge about fascism and the holocaust from when I was a child. He has broken the silence on these issues.
I am so grateful to my mother for always making sure that we were close friends with people from all classes, that "family" wasn't limited to family of origin.
I now know that I also have a completely different heritage. Beyond all the good things that my parents instilled in me, I have learned things through direct contact with my ancestors that I never had access to before.
It gives me a whole new sense of belonging, self-confidence and aliveness.
I am now able to be truly present on a personal level, professionally and as an activist when it comes down to it. When things get really difficult.
When being in integrity is not only about responsibility for transgenerational fascist burdens but also for the fact that these burdens are effecting us every day, today. When they are used to justify weapon export into genozide regions.
And - despite all the sadness and all the anger - I'm enjoying life like never before, and I know that I'm entitled to it. That my ancestors want that.
It is a great pleasure and a great honor for me to accompany people on their way to get in contact with their ancestors or to put this contact on a different footing.